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Auszug aus einem Interview mit Willy Sommerfeld

Frage: Wonach fragen denn die Leute gewöhnlich, wenn sie mit Ihnen
sprechen?
 






 

 
Willy Sommerfeld: Ach, die berühmten Fragen halt.
Frage: Danach, wie alt Sie sind?
Willy Sommerfeld: Schon wieder? - Sie wissen es doch inzwischen!
Frage: Ich meine, die anderen Leute, sie fragen nach Ihrem Alter?
Willy Sommerfeld: Ja. Sie sind schlecht erzogen.
Frage: Und was fragen sie noch?
Willy Sommerfeld: Wie alt meine Frau ist. - Privatsachen möchte ich aber nicht mit hineinbringen.
Frage: Sie sind sehr sehr jung nach Berlin gekommen und wollten...
Willy Sommerfeld: ... studieren, ja. Am Sternschen Konservatorium, nicht an der Hochschule. Die Hochschule hatte nie einen guten Ruf. Und jetzt auch nicht. Am Sternschen Konservatorium, in der Bernburger Straße war das, und da waren große Leute: Alexander von Fiedes war ein bedeutender Mann, er war mein Lehrer in der Kapellmeisterklasse... Da waren alles Berufspianisten, ich ja nicht. Ich kam von der Geige. Klavier habe ich nebenbei gemacht. Da wurde ich aber schon, wie soll ich jetzt mal sagen, als Beispiel hingestellt, auch in der Kappellmeisterklasse. Alexander Fiedes, der hat mal gesagt: "Guckt euch mal den kleinen Sommerfeld an, wie der Klavier spielt!" - Na ja, aber stellen Sie sich mal vor: Ich hatte das Musiklehrerexamen gemacht, 1920, überlegen Sie mal, da war ich 16 Jahre alt, als ich ein Diplom bekommen habe, und da durfte ich schon den Beruf ausüben. Aber... ich wollte was anderes, Kappellmeister und Komponist wollt ich werden. Um das zu verfolgen, hab ich mich von meinen Eltern getrennt, die das gar nicht wollten, und hab in Berlin gegen ihren Willen angefangen. Es hat aber noch lange gedauert, ehe ich dann meine Laufbahn als Kappellmeister beginnen konnte, denn es waren schlechte Zeiten... Ich habe gehungert, ja. Und dann kam Gott sei Dank der Job mit dem Professor...
Frage: Mit ihm Stummfilme im Kino zu begleiten?
Willy Sommerfeld: Genau.
Frage: Mich würde interessieren, wie das so war.
Willy Sommerfeld: Vorweg: Damals war das nicht mein Beruf. Das habe ich nur gemacht, um leben zu können. Zuerst war ich also mit meinem Professor unterwegs, der spielte Klavier und ich Geige. Da mußten wir natürlich nach Noten spielen. Er überließ mir, die auszusuchen, also die entsprechende Musik. Zu jedem Film erschienen damals Titel mit passenden Musiken dazu. Ich bin nicht eingebildet, aber das paßte mir nicht. Ich wollte lieber meine eigene Musiken machen. Und dann habe ich mir einen Film angeguckt, einen Abend vorher, Musiken zusammengestellt und am nächsten Morgen ging es los. Als ich die ersten Begleitungen gemacht habe, war das noch nicht in dem Sinne wie ich es jetzt mach. Ist doch ganz klar, nicht wahr? Ich mußte eben Noten nehmen, die ich hatte, oder die das Kino hatte. Es gab ja noch keine Noten für dramatische Sachen wie Rennen oder so was. Es gab die klassische Musik, such aber erstmal in der Klassischen nach so was Ausgefallenem wie Rennen! Manchmal nur ‘paar Takte, die dahin paßten, aber woher? - Wollen wir es mal so sagen, damals war die Musik noch nicht so getreu, wissen Sie was ich meine? Die Musik war noch nicht so bildgetreu. Da gibt es einen berühmten Ausspruch von mir: "Das Bild diktiert die Musik und ich bin gefühlssynchron." Das heißt, die Musik soll spontan und gleichmäßig mit dem Bild verschmelzen, als ob beide ein Paar wären. Ich sehe das Bild und will da spontan die Musik finden, synchron mit dem Bild. Das Bild läuft mir in die Hände. Ich kann jeden Film sehen, ich spiele sofort die Stimmung.
Frage: Sie müssen ja ein erstaunliches Gedächtnis haben!
Willy Sommerfeld: Jawohl. Das muss man. Und stellen Sie sich mal vor, dann gab es plötzlich Situation, da erschien auf einmal ein Musiktitel als Schrift, den müssen Sie gleich draufhaben.
Frage: Was würden Sie machen, wenn da etwas stünde, das Sie nicht kennen würden?
Willy Sommerfeld: Da würde ich in dem Sinne etwas erfinden.
Frage: Haben Sie das auch schon mal gemacht?
Willy Sommerfeld: Eigentlich nicht, ne, es kommt ja kaum vor.
Frage: Ich hab kürzlich einen Film von Ihnen begleitet gesehen, da hatten Sie bei einem Liebespaar
Willy Sommerfeld: ...den Hochzeitsmarsch gespielt! Ja, natürlich, wo es angebracht ist und wo ich es nicht lassen kann, da spiele ich auch den Hochzeitsmarsch. Warum nicht? - Aber wenn im Film getanzt wird, dann ist es manchmal schwer zu erkennen, was da eigentlich getanzt wird.
Frage: Das hat mir sehr gefallen. Das war so lebendig. Aber war es auch üblich, daß man im Kino klassische Musik mit Gassenhauern, mit Schlagern oder populärer Musik mischte?
Willy Sommerfeld: Ja natürlich, wenn es angebracht war. Das war üblich, selbstverständlich. Man mußte doch spielen, was das Publikum kennt. Fürs Ohr, ne? "Heinzelmännchens Wachparade". Das war eine sogenannte Schmonzette oder "Wenn die Liebe stirbt". Das waren so die gängigen Sachen. Man konnte nicht nur Klassik bringen, das Publikum war ja bunt gemischt und wollte Abwechslung. Geben Sie mal Acht, da wird z.B. im Film gesoffen und da fängt einer an zu grölen und ich spiele "Wir versaufen unserer Oma ihr kleines Häuschen"...
Frage: Wie sind Sie denn mit der Masse der Werke bei der Auswahl und vor allem beim spontanen Spielen zurechtgekommen?
Willy Sommerfeld: Irgendwie gefummelt, Zeugs gefummelt. Wird ja nicht ideal gewesen sein. Aber, irgendwie muß ich auch nicht ganz schlecht gewesen sein. Jetzt erzähle ich eine alte Geschichte, aber immerhin, sie paßt zu dem Rahmen. Es gab viele Schauspieler, die zu ihren Filmen in Begleitung erschienen, um zu sagen: "Seht mal, das bin ich da oben". Und einmal war die Rosa Valetti da. Als der Film zu Ende war, ist sie aufgestanden, kam vorbei, und sagte zu mir: "Kleiner, du hast mir aber ein schönes Kleid angezogen"..., sie meinte natürlich, musikalisch.
Frage: Gibt es weitere Episoden mit Schauspielern?
Willy Sommerfeld: Eigentlich nicht. Ich bin ja mit den Leuten eigentlich nicht in Berührung gekommen. Ich machte Musik und dann weg.
Frage: Wie würden Sie rückblickend Ihren Stil beschreiben?
Willy Sommerfeld: Früher habe ich mir den Film ansehen müssen, habe mir Notizen über den Film gemacht und mir dann entsprechende Musiken ausgesucht. Ob dramatisch oder traurig. Heute gucke ich mir den Film nicht an. Ich lasse mich nur noch vom Bild inspirieren. Was dabei herauskommt, was ich heute an Musik hereinbringe, ist ein Resumé aus dem Ganzen, was ich in meinem Leben an Musik erlebt und gemacht habe. Deswegen wirken die Film, wenn ich sie heute begleite, so lebendig. Sehen Sie, im Laufe der Jahre hat sich das ja auch immer wieder geändert, ich spiele was mir gerade einfällt, also eigentlich komponiere ich in jedem Augenblick eine Musik zu dem Film. Spontan passend. Das fällt mir ja nicht schwer. Die Musik aus den 20er Jahren, ja die mag ich gern, da pack ich auch gern so eine Schmonzette der damaligen Zeit mit rein.
Frage: Gibt es Beispiele von Musiken, die sich bei Ihnen eingeschlichen haben und jetzt immer wieder vorkommen, einem Leitmotiv gleich?
Willy Sommerfeld: Ja, natürlich, weil ich die Erfahrung gemacht habe, das paßt gut hin und dann kann man dabei bleiben so wie bei der Musik zu dem Film "Der letzte Mann", wenn er seinen Entlassungsschein kriegt, da zitiere ich Tschaikowski. Oder in "Metropolis", wenn Babylon erscheint, da habe ich von Rachmaninov ein Präludium genommen. Das paßt, weil es so gigantisch ist. Das ist auch eine bekannte Musik, die mir dafür als Zitat eingefallen ist und die blieb. Oder die Szene, wenn sich die beiden Liebenden beim erstem Mal entdecken, da lachen sie ja immer, und diese Musik ist Beethoven. Daraus wurde ein Leitmotiv von der Maria, wenn sie ihm erscheint, das liebe Geschöpf, und er sie sieht. Und wenn sie sich dann wiedersehen und in den Armen liegen...
Frage: Mögen Sie Liebesszenen?
Willy Sommerfeld: Oh, kommt darauf an.... Oder meinen Sie im Film? Ja. Da hab ich wunderbare Musiken für Liebesszenen, nicht?
Frage: Dadurch, daß Sie den Filmen die Stimmung geben, haben Sie doch einen bestimmten Einfluß auf das Publikum...
Willy Sommerfeld: Ja, ja, es gibt auch Leute, die schon ergriffen waren durch meine Musik, nicht wahr? Und da haben wir schon natürlich sehr gute Worte gehört, ne? Die ich nicht wiederholen will hier.
Frage: Gibt es auch Ihre eigenen Medodien, die Sie ständig wiederholen?
Willy Sommerfeld: Eigentlich nicht, bis auf die wenigen Motive aus der Klassik eben. Sonst spiele ich doch Musiken, die ich in dem Augenblick erfinde! Also, ich komponiere. Ganz spontan. Und hinterher habe ich ja vergessen, was ich gespielt habe, was ich improvisierte. Weg! Keine Ahnung. Ich belaste mich nicht vorher mit Vorbereitungen. Es gibt andere Dinge, mit denen ich mich lieber belasten möchte. - Das ist aber eine süße Last, ne?
Frage: Wenn Sie an einem Tag nicht die beste Laune haben, beeinflußt es den Film, indem er insgesamt trauriger wird, oder wenn Sie besonders lustig sind...
Willy Sommerfeld: Ich habe mir da schon komische Sachen erlaubt, als ich z.B. einen Berlin-Film begleitete, da geht es um ein Mädchen, das die Friedrichstraße entlang läuft, Sie verstehen, ja? Und da fiel mir ein "Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" zu spielen. (er lacht)
Frage: Das heißt, Sie kommunizieren mit dem Film...
Willy Sommerfeld: Ja, könnte man so sehen.
Frage: Was bedeutet das Publikum für Sie? Denken Sie beim Spielen an die Zuschauer?
Willy Sommerfeld: Nene... Es freut mich, wenn es Gefallen findet... Das ist doch klar.
Frage: Gefallen an Ihrer Musik?
Willy Sommerfeld: Die sind doch da, um die Filme zu sehen...
Frage: Inzwischen aber auch, um Sie zu erleben. Ich glaube beinah, daß Sie die „Hauptattraktion“ für das Publikum sind.
Willy Sommerfeld: (lacht) Ja? Weiß ich nicht...
Wissen Sie, ich gebe sehr gerne an, aber ohne anzugeben. Ein Kritiker schrieb mal über mich, damals war ich noch etwas jünger: „Willy Sommerfeld hat eine falsche bescheidene Natur.“ Meine Frau wird das bestätigen. (er lacht)